Die beiden eisernen Kunsthände des fränkischen Reichsritters Götz von Berlichingen (1480-1562) sind die wohl bekanntesten Beispiele historischer Handprothesen. Das Forscherteam um Professor Andreas Otte von der Hochschule Offenburg (Prof. Dr. med. Otte und der Masterstudent Oliver Weinert, B. Sc., aus dem medizintechnischen Labor NeuroScience und Prof. Dr.-Ing. Junk aus dem Labor Rapid Prototyping, Rapid Tooling und Reverse Engineering) hat die erste und ältere "Eiserne Hand" des Götz von Berlichingen nun erstmalig mit Hilfe von dreidimensionalem Computer-Aided-Design rekonstruiert. Die Forschungsergebnisse wurden im Archiv für Kriminologie und in SCIENCE veröffentlicht.
Das Innenleben der "Eisernen Faust" war ausgefeilter, als bisher angenommen, stellten die Forscher nun fest. Die Hand des Götz könnte sogar spannende Impulse für die Entwicklung neuer künstlicher Handprothesen liefern.
"Obwohl die erste 'eiserne Hand' fast genauso bekannt ist wie die jüngere zweite Hand, wurde deren Funktion nie systematisch überprüft", sagt Otte. Der mit Hilfe eines 3-D-Multimaterial-Druckers gefertigte Nachbau aus Kunststoff wiegt 175 Gramm und ist damit ein echtes Leichtgewicht im Vergleich zu dem eisernen Original aus dem 16. Jahrhundert, das 600 Gramm auf die Waage bringt.
Am meisten überraschte das Forscherteam, dass die Prothese bei vielen Aufgaben des täglichen Lebens eine erstaunliche mechanische Hilfe darstellte. "Frühere Untersuchungen gingen davon aus, dass die ältere Götzhand im Alltag wenig brauchbar gewesen sei", sagt Otte: "Wir konnten nun beweisen, dass die Hand absolut funktional ist. Sie können damit schreiben und gut Gegenstände wie etwa ein Smartphone oder Weinglas halten."
Im Inneren der Originalhand verbirgt sich ein für die damalige Zeit ausgeklügelter, komplexer Mechanismus mit Blattfedern und Sperrklinken, der aber einfach zu bedienen war: Ein künstlicher Daumen und jeweils zwei benachbarte Finger lassen sich in ihren Grundgelenken bewegen und arretieren. Da es sich bei der "Eisernen Hand" um eine passive Prothese handelt, ist immer auch eine gesunde Hand nötig, um diese zu bedienen.
"Dennoch ist es überraschend, dass man einen Großteil der Dinge des täglichen Lebens bereits mit so einer einfachen mechanischen Hand bewerkstelligen kann", sagt Otte "Man kann sich gut vorstellen, dass man mit solch einer Prothese im Alltag nach einer kurzen Eingewöhnungszeit gut zurechtkommt."
Natürlich sei der aktuelle Entwicklungsstand in der Medizintechnik mit ihren modernen Prothesen weit entfernt von einfachen analogen Modellen wie der Götzhand aus der frühen Neuzeit. "Aber intelligente sensomotorische High-End-Neuroprothesen kosten sehr viel Geld und sind für viele Menschen etwa in armen Ländern unerschwinglich", sagt Otte. "Auf Basis unseres Modells könnte eine analoge Low-Tech-Prothese hergestellt werden, die zu niedrigen Kosten ganz einfach und überall auf der Welt ausgedruckt werden und das tägliche Leben durchaus verbessern kann." Die Götz-Prothese, so Otte, zeige einmal mehr, dass der Blick in die Historik durchaus lohnen könne.
Die Arbeiten:
· Weinert O, Otte A. 3-D CAD-Rekonstruktion der ersten "Eisernen Hand" des Reichsritters Gottfried von Berlichingen (1480-1562). [3D CAD reconstruction of the first "Iron Hand" of German knight Gottfried von Berlichingen (1480-1562)]. Arch Kriminol 2017; 240 (1+2): 50-58
· Otte A, Weinert O, Junk S. 3-D CAD-Rekonstruktion der ersten "Eisernen Hand" des Reichsritters Gottfried von Berlichingen (1480-1562): 1. Fortsetzung: Funktionsprüfung mittels 3-D Druck. [3D CAD reconstruction of the first "Iron Hand" of German knight Gottfried von Berlichingen (1480-1562) - first continuation: function test by means of 3D print]. Arch Kriminol 2017; 240 (5+6): 185-192
· Otte A, Weinert O, Junk S. 3D-multimaterial printing "Knight Götz von Berlichingen's trendsetting "iron hand". Science 2017: e-letter: <link http: science.sciencemag.org content aaf2093 tab-e-letters _new>
science.sciencemag.org/content/353/6307/aaf2093/tab-e-letters
[published online: 2 Dec 2017]Kontakt
Prof. Dr. Andreas Otte, Medizintechnik, Fakultät Elektrotechnik und Informationstechnik
Hochschule Offenburg, Badstr. 24, 77652 Offenburg
eMail: andreas.otte@hs-offenburg.de